Die Niederbayern- Gruppe bei der Bundesversammlung der Seliger- Gemeinde: v.l. Christa Naaß, MdEP, Karin Hagendorn, Präsidiumsmitglied Albrecht Schläger, Ingrid Sauer, Rita Hagl- Kehl MdB, Karl Garscha, Bruno Dengel und AK Sprecher Rainer Pasta
„Kriegsende und Neuanfang – Befreiung und Vertreibung vor 70 Jahren“
Der Sprecher des SPD-Arbeitskreises Labertal, Rainer Pasta aus Geiselhöring, seine Stellvertreterin Karin Hagendorn (Hohenthann) und des Neumitglied Bruno Dengel (Obersüßbach) vertraten als Bayern-Delegierte den SPD-Arbeitskreis Labertal bei der Bundesversammlung der Seliger-Gemeinde vom 30.Oktober bis 1. November in Bad Alexandersbad. Dieses Jahr stand die Tagung unter dem Titel „Kriegsende und Neuanfang – Befreiung und Vertreibung vor 70 Jahren“ und natürlich ging es auch wieder um die nachbarschaftlichen Beziehungen zu Tschechien. Schon mehrmals wurde die Bitte an die Labertaler herangetragen, durch ihre raumübergreifende Tätigkeit die ruhenden Gruppierungen in Regensburg, Straubing und Passau in einer neu zu bildenden Donau-Allianz wiederzubeleben. Im März 2016 soll nun eine Neugründung unter der Leitung der Bundestagsabgeordneten Rita Hagl-Kehl, u.a. Mitglied im Sudetendeutschen Rat und seit neuestem auch Mitglied in der Seliger-Gemeinde, erfolgen. Im Gegenzug lud der AK Labertal Karl Garscha mit einer Fahnenabordnung der Seliger-Gemeinde zum Festakt „70 Jahre Wiedergründung der SPD im Altlandkreis Mallersdorf“ ein, zumal auch viele sozialdemokratischen Sudetendeutsche als Flüchtlinge die damaligen Ortsvereine personell stark auffüllten. Albrecht Schläger, Mitglied des Präsidiums der Seliger-Gemeinde, wird am 27. November zur Ausstellungseröffnung „Flucht, Vertreibung und Asyl 1945-2015“ in der Schlossklinik Rottenburg referieren.
70 Jahre Befreiung und Vertreibung - eine seltsames Gedenken
Reinhold Gall, sozialdemokratischer Innenminister in Baden-Württemberg, der Journalist Dr. Jaroslav Sonka und Mgr. Jan Sicha, Mitglied des Direktoriums des Collegium Bohemicum und Mitarbeiter im tschechischen Außenministerium, referierten zum Thema „Kriegsende und Neuanfang – Befreiung und Vertreibung vor 70 Jahren“. Ergänzt wurde die Tagung durch einen Beitrag von Ingrid Sauer, M.A. zur Bedeutung und Arbeit des Sudetendeutschen Archivs sowie einen Besuch der KZ-Gedenkstätte mit einer Gedenkfeier an der Gedenktafel der Seliger-Gemeinde.
Innenminister Reinhold Gall erinnerte „im Angesicht langer Flüchtlingstrecks durch Europa mit Richtung Deutschland“ an die Verantwortung und Verpflichtung der Seliger-Gemeinde und aller von Flucht und Vertreibung in der Vergangenheit Betroffenen. Gerade die Seliger-Gemeinde, die Treuegemeinschaft der sozialdemokratischen Sudetendeutschen, feiere heuer ein seltsames Gedenken: Die Befreiung von der Diktatur Hitlers, die viele Mitglieder schon in den dreißiger Jahren des letzten Jahrhunderts zur Flucht aus der Heimat veranlasste, tausende inhaftierte und ermordete, und gleich darauf die Vertreibung, auch der Sozialdemokraten, die im Widerstand Seite an Seite mit den Tschechen gestanden sind, aus ihrer Heimat nach 1945.
„Die Geschichte von Flucht und Vertreibung war in den letzten 70 Jahren selten so präsent wie heute“, so Gall. Es gelte die Erinnerung wachzuhalten, denn Flucht und Vertreibung sei ein wichtiger Teil unserer Identität und jetzt werde sich zeigen, ob Deutschland in den vergangenen 70 Jahren nicht nur wirtschaftliche, sondern auch menschliche Stärke erlangt habe. Gegen den grölenden Mob auf der Straße und in einigen europäischen und bundesdeutschen Parlamenten müssten die Werte der Sozialdemokratie, dargestellt in der Ablehnung der Ermächtigungsgesetze in Angesicht von Gefahr an Leib und Leben durch Otto Wels und seinen Abgeordnetenkollegen, aufrecht erhalten und kompromisslos vertreten werden. Gall verwies aber auch auf die „schöne Seite“ Deutschlands, auf die Tausenden von ehrenamtlichen Helfern, Mitgliedern der Hilfsorganisationen und Behördenmitarbeitern, für die wieder das WIR satt dem ICH, ein neues Miteinander in den Vordergrund getreten ist.
WIR satt ICH – ein neues Miteinander
Asyl sei kein Gnadenakt, den man großzügig erteilen könne, Asyl und Flüchtlingshilfe seinen Grundbestandteil unseres Grundgesetzes. Die politischen Spielchen müssten ein Ende haben und Europa müsse zu Mut und Zuversicht zurück finden. Die Wertegemeinschaft der Seliger-Gemeinde habe verantwortungsvoll gezeigt, wie man Brücken bauen könne, früher und heute.
Der Journalist Dr. Jaroslav Sonka zeigte sich in seinen Ausführungen überzeugt, dass die Tschechische Republik durch die Vertreibung der Sudetendeutschen ihre eigene Identität beschnitten habe und dies bis heute nachwirke. Die derzeitige Ablehnung von Flüchtlingen in Tschechien, die bei Umfragen von rund 90% der Bevölkerung getragen wird, führt Sonka auf eine fehlende politische Bildung in Tschechien zurück, Institutionen wie die Bundeszentrale für politische Bildung oder die Friedrich-Ebert-Stiftung (FES) der Sozialdemokratie gebe es in Tschechien nicht. Umso wichtiger seien die Kontakte und die Arbeit vor Ort durch die Seliger-Gemeinde oder die Niederlassung der FES in Prag. Die Menschen in Tschechien haben 1989 die Menschenrechte für sich reklamiert – nun könne man sie nicht wegen der Menge und der Volkszugehörigkeit der Flüchtlinge relativieren.
Der Dialog ist alternativlos
Mgr. Jan Sicha sah in der schlecht funktionierenden Verwaltung eines der Hauptübel in der tschechischen Gesellschaft. „Hier wird Politik von einem Tag auf den anderen gemacht und die Verwaltung setzt die wenigen Beschlüsse auch noch unzureichend um“, so Sicha, der in der Sozialdemokratischen Partei seines Landes die einzige funktionierende politische Kraft sieht. Er sieht für Tschechien die Hoffnung in der Sozialdemokratie und verwies auf die Rechts-Orientierung in den Nachbarstaaten Slowenien, Polen und Ungarn. „Wir brauchen mehr Europa und mehr Kontakte zu Deutschland. Der Dialog ist alternativlos“, so die Zielvorgabe für die Zukunft aus den Reihen der Versammlung.