Markus Rinderspacher referiert über Wilhelm Hoegner

Veröffentlicht am 02.12.2015 in Veranstaltungen

Der Vater der bayerischen Verfassung

Ein Baumeister des modernen Bayern

Ein Leben im Kampf für die Gerechtigkeit

Markus Rinderspacher, Vorsitzender der SPD-Landtagsfraktion, zu Wilhelm Hoegner und die Bayerische Verfassung:

Wir wollen heute einmal mehr an Wilhelm Hoegner erinnern. Wenn Sie es einem „nachgeborenen“ Sozialdemokraten nachsehen und nicht als Anmaßung empfinden,

würde ich gerne formulieren: an unseren Wilhelm Hoegner. Denn auch wir, die wir heute Verantwortung in der und für die SPD tragen, stehen selbstverständlich in der Tradition dieses großen Sozialdemokraten, des wohl bedeutendsten der Gründerväter unseres zweiten demokratischen „Freistaats Bayern“.

Bevor ich darauf näher auf diese historische Leistung eingehe, ein Blick auf den Weg dorthin. Wilhelm Hoegner hat schon dem ersten demokratischen „Freistaat Bayern“ gedient, der nach dem Ersten Weltkrieg - ebenfalls entscheidend von Sozialdemokraten mitbegründet! – und 1933 von den braunen Horden Hitlers zugrunde gerichtet worden war.

Ich sage bewusst „gedient“: Denn Wilhelm Hoegner war als neugewählter oberbayerischer Abgeordneter schon 1924 der allererste im Bayerischen Landtag, der die sich in München formierenden  Nationalsozialisten um Hitler als das entlarvte, was sie waren: nicht nur Feinde der Demokratie, sondern eine tödliche Gefahr für den Freistaat Bayern und die Republik von Weimar.

Der 36 Jahre junge Staatsanwalt Hoegner hat Hitler und seine braune Anhängerschaft seit ihren Anfängen in München als Demokratiefeinde, ja letztlich als potentielle Totengräber Deutschlands und Europas erkannt und entschieden bekämpft.

Dieser Kampf gegen die Nazis begann bereits mit seiner Jungfernrede im Landtag am 22. Juli 1924. Es setzte sich mit dem von ihm angestrengten Untersuchungsausschuss zur Aufklärung des Hitler-Putsches vom 9. November 1923 und des Zusammenspiels von Hitlers Nazis, völkischen Verbänden, staatlichen Stellen wie der Justiz und nicht zuletzt seinen Geldgebern in Bürgertum und Industrie fort.

Zu den parlamentarischen Sternstunden Hoegners gehört seine von Hassausbrüchen und wüsten Gewaltandrohungen unterbrochene Jungfernrede im Deutschen Reichstag 1930. Wilhelm Hoegner war der einzige Abgeordnete, der sowohl als Mitglied des Deutschen Reichstags am 23. März 1933 wie als Mitglied des Bayerischen Landtags am 29. April 1933 gegen die Ermächtigungsgesetze der Nazis gestimmt hat.

Bis zuletzt hat er sich mit seinen politischen Freunden und unter Lebensgefahr gegen den Untergang der deutschen und der bayerischen Demokratie gestemmt und musste sein Leben durch Flucht über die Berge nach Österreich und schließlich ins Schweizer Exil retten.

Willy Brandt hat dieses Engagement beim Staatsakt 1980 mit der Feststellung gewürdigt, „dass die Sozialdemokratie gut dran gewesen wäre, wenn sie 1930, als der Sturm auf die Weimarer Republik voll einsetzte, mehr Repräsentanten vom Schlage Hoegners im Reichstag gehabt hätte, und nicht nur dort.“

Hoegner gehörte als zweimaliger Ministerpräsident 1945/46 und 1954-57, als Justiz- und Innenminister in den späten 40er und frühen 50er Jahren, als Landes- wie als Fraktionsvorsitzender der SPD im Bayerischen Landtag und zuletzt als dessen Vizepräsident, in den 24 Jahren seiner Zugehörigkeit zum Bayerischen Landtag (die ersten 6 Legislaturperioden von 1946 – 1970) zu den Kantigen und Streitbaren, zu den Politikern mit Intellekt, einem stark ausgeprägten bayerischen Geschichtsbewusstsein und echter Volksnähe. Für ihn waren Heimatverbundenheit und weiter Horizont, Geist und Tat keine Gegensätze.

Wilhelm Hoegner war ein bayerischer Staatsmann, der Bayerns Geschichte des 20. Jahrhunderts nachhaltig geprägt hat. Als Högner 1945 aus dem Schweizer Exil mit einem US- Jeep nach München gebracht wurde hatte er im Gepäck ein Margarinebrot, 3 Äpfel und 23 Gesetzentwürfe für die zukünftige parlamentarische Arbeit. Dazu den Entwurf einer Verfassung.

Einer Verfassung, die viele positive Unterschiede zum Grundgesetz aufweist. Sie ist vom Volk in einer Volksabstimmung mit 2/3-Mehrheit beschlossen worden, sie umfasst Elemente direkter Demokratie (Volksbegehren, -entscheid), sie normiert nicht nur klassische Freiheitsrechte wie das GG, sondern auch soziale Grundrechte, wie z. B. das Recht auf Arbeit, das Recht auf menschenwürdige Wohnung, das Recht auf Bildung und Ausbildung, auf Mitbestimmung, nicht zuletzt das Recht auf Naturgenuss (heute würden wir sagen: intakte Natur, also Naturschutz).

Hans-Jochen Vogel hat in seiner großen Rede bei der Gedenkveranstaltung der SPD-Fraktion im Bayerischen Landtag zum 25. Todestag Hoegners ausführlich die Leistungen seines politischen Lehrmeisters beim Neuaufbau der bayerischen Justizverwaltung und der Gerichte sowie die starke Verankerung der gemeindlichen Selbstverwaltung in der Verfassung von 1946 und der Gemeindeordnung von 1951 dargelegt. Nicht zuletzt auf das Verdienst, dass in Bayern Bürgermeister und Landräte vom Volk direkt gewählt werden. Er hat auch daran erinnert, dass Wilhelm Hoegner als Innenminister in der Großen Koalition zwischen CSU und FDP Anfang der 50er Jahre den Beinamen „Wilhelm der Städtegründer“ bekam, weil in seine Amtszeit die Stadterhebung von 39 (u.a. Geiselhöring) und die Markterhebung von 11 weiteren Gemeinden fielen.

Nicht vergessen dürfen wir die weitreichenden und konsequenzenreichen  Verfassungsbestimmungen zur direkten Demokratie, die Hoegner aus dem Schweizer Exil mitbrachte: Volksbegehren und Volksentscheid.

Lange waren diese plebiszitären Verfassungsbestimmungen in Deutschland ein Alleinstellungsmerkmal des Hoegnerschen Freistaats Bayern. Mittlerweile sind auch einige andere Länder dem bayerischen Beispiel gefolgt. Weil sie geschehen haben, was „das Volk“ damit alles erreichen kann, wenn seine Politiker nicht so wollen, wie es will. Zum Beispiel den Nichtraucherschutz so gestalten wie es die Mehrheit der Bürger will - und nicht wie es ein kleiner Koalitionspartner der Parlamentsmehrheit aufzwingt.

Nachdem es mit dem Lissaboner Vertrag jetzt sogar auf EU-Ebene ein, wenn auch nicht sehr starkes, plebiszitäres Instrument, die Europäische Bürgerinitiative, gibt wäre es endlich an der Zeit, auch auf Bundesebene Hoegner zu folgen und Volksbegehren und Volksentscheid in das GG aufzunehmen.

Zu erinnern ist schließlich an die bleibenden Verdienste Hoegners in seiner zweiten Amtszeit von 1954-57 als Bayerischer Ministerpräsident. Die Viererkoalition unter diesem SPD-Ministerpräsidenten hat in ganz entscheidendem Maße die Modernisierung des Agrarlandes Bayern eingeleitet und den Freistaat damit bis heute nachhaltig verändert und geprägt.

Und nicht zuletzt will ich an die gelungene die Eingliederung der Millionen Heimatvertriebener erinnern. Es war der Ministerpräsident Hoegner, kein anderer, der das Wort vom „Vierten Stamm Bayerns“ prägte!

Es ist ganz offensichtlich: Wilhelm Hoegner war ein bayerischer Staatsmann von geschichtlichem Rang. Er hat aber nicht nur große Spuren in der bayerischen Geschichte des 20. Jahrhunderts hinterlassen, sondern auch ein großes Erbe an Ideen, geistigen und sittlichen Werten, die uns verpflichten und denen insbesondere wir Sozialdemokraten uns auch 35 Jahre nach seinem Tod noch verpflichtet fühlen. Deswegen sollte ihm die Ehre zuteilwerden, in die Walhalla aufgenommen zu werden, und keinem anderen bayerischen Ministerpräsidenten.

Ich nenne als erstes Hoegners entschiedenes Eintreten für Demokratie und sein Widerstand gegen alle rechtsextremen Umtriebe und fremdenfeindlichen Tendenzen. Das wichtigste Vermächtnis Hoegners, das wir heutigen Sozialdemokraten bewahren wollen und das alle verantwortlichen politischen Kräfte bewahren sollten, ist in der Bayerischen Verfassung festgehalten.

Leider gilt diese Feststellung auch heute noch, 70 Jahre nach Inkrafttreten der Hoegnerschen Verfassung: Zu oft klaffen zwischen Verfassungstext und Verfassungswirklichkeit große Lücken. Zu oft wird in der heutigen Politik das Gemeinwohlprinzip missachtet, statt geachtet. Die Verteidigung des Sozialstaats, die Sozialbindung des Eigentums, eine soziale Ordnung, „in der das Gemeinwesen an die Stelle des Profitinteresses getreten ist“.

Er selbst formulierte sein politisches Bekenntnis mit folgenden Worten: „Besserung der wirtschaftlichen Lage der unteren Volksschichten, Gleichberechtigung aller Stände, politische Freiheit, soziale Gerechtigkeit und sachliche Zusammenarbeit aller Parteien für unser bayerisches und deutsches Vaterland“.

An ein zweites Vermächtnis will ich noch erinnern, an eines für seine, für unsere SPD: Wilhelm Hoegner hat in seiner ersten großen Rede nach Krieg und Exil, am 25. November 1945 im Münchner Prinzregententheater, schon als Ministerpräsident, wichtige Anstöße für die künftige Orientierung seiner Partei gegeben. Er sprach damals als erster von der Notwendigkeit, die SPD zu einer „Volkspartei“ zu machen. 14 Jahre vor „Godesberg“. Ich zitiere die entsprechenden Kernsätze aus dieser Rede: „… wir brauchen nicht nur Anerkennung, sondern Förderung der geistigen und sittlichen Werte. … Wir Sozialdemokraten glauben an die Gemeinschaft des Menschlichen über alle Unterschiede der Religion, Rasse, Nation und Klasse hinweg. … Wir Sozialdemokraten wollen den Menschen wieder zum Maß aller Dinge erheben, jeder Mensch soll Selbstzweck, keiner soll nur Mittel für fremde Zwecke sein. Jeder Mensch hat seinen Wert und seine Würde. … Wir Sozialdemokraten müssen aus dem Pferch der gesellschaftlichen Klassenscheidung heraus, wir müssen eine Volkspartei werden! … Wir müssen heute alle jene Volkskreise um uns sammeln, die nicht zurück, sondern vorwärts wollen. Wir müssen die kleinbürgerlichen Schichten, die Handwerker, die Gewerbetreibenden, die Angestellten und Beamten um uns sammeln. …“

Willy Brandt hat beim Staatsakt im März 1980 daran erinnert, dass Wilhelm Hoegner auch noch im hohen Alter als SPD-Ehrenvorsitzender oft durch sein bloßes Dabeisein gewirkt habe.

„Viele fühlten sich bis zuletzt von ihm in die Pflicht genommen.“ Wir können heute sagen, dass Wilhelm Hoegner noch immer wirkt. Auch wir stehen in seiner Pflicht.

Wir sollten seiner nicht nur gedenken, sondern von ihm lernen.

In diesem Sinne verneigen wir uns vor Wilhelm Hoegner.

 

  

Projekt 2016 - Schuld & Sühne?

„Historischen Themennachmittage" im Labertal

Die intensive Auseinandersetzung mit der Vergangenheit ist wichtig um die Gegenwart zu verstehen und der Zukunft zu vertrauen. Der AK Labertal will fundierte Geschichtsbewältigung unter sozialdemokratischen Gesichtspunkten anbieten Es gibt nichts zu glorifizieren, nichts zu beschönigen und schon gar nichts zu rechtfertigen. Wir wollen aber auch nicht anklagen und verurteilen - keiner von uns kann heute sagen, wie er sich selbst verhalten hätte, in einer anderen Zeit.

- Rückblick -
Der SPD-Arbeitskreis Labertal hat mit dem „Historischen Themennachmittag“ zur Schierlinger Muna am 24. Januar 2010 begonnen, sich mit den Ereignissen vor 65 Jahren genauer zu beschäftigen. Neben dem „Wunder von Schierling“ sollt der Blick auch auf die Todesmärsche durch das Labertal gelenkt werden.

Die Brüder Gandorfer beschäftigten den AK am historischen Datum 7. November 2010 in Pfaffenberg.

Im Spätherbst 2011 wurde mit "Die Engel von Laberweinting" erneut an das Thema "65 Jahre Kriegsende" angeknüpft. 62 tote Kinder in nur wenigen Monaten, so die Bilanz des Entbindungs- und Kinderheims für Fremdländische.

Der letzte „Historische Themennachmittag“„GELINZT - Euthanasie- Opfer aus dem Labertal“ fand am 4. März in Geiselhöring statt. Das Thema wurde mit einer Informationsfahrt am 14. April an den Gedenkort Hartheim bei Linz abgerundet.

Die Dokumentationen zu den Themennachmittagen (oder den Bonhoeffer-Wochen) sind unter www.agentur-labertal.de zu bestellen!

Projekt 2015 - Flucht, Vertreibung und Asyl

Flucht, Vertreibung und Asyl 1945 / 2015

Sonstiges

 

120 Jahre BayernSPD - Im Dienst von Freiheit und Demokratie Frauen sind in der rechtsextremen Szene keine Seltenheit mehr – sie sind die „nette“ Nachbarin oder betreiben Biolandbau und verkaufen „Deutschen Honig“ und unterwandern so die Gesellschaft mit neonazistischem Gedankengut. Die Ausstellung „Braune Schwestern“ aus Österreich war 2012 erstmals in Niederbayern zu sehen und beschäftigt sich mit der Symbolik, den Liedern und dem Gedankengut der rechtsextremen Frauenszene.