Ausstellungseröffnung in Geiselhöring

Veröffentlicht am 30.09.2015 in Veranstaltungen

Für Gäste und Zeitzeugen gab es, als Erinnerung an die Comedian Harmonists, einen „kleinen grünen Kaktus“: Pfarrer Ulrich Fritsch (re.) und AK Sprecher und Rainer Pasta (2.v.li) mit Bürgermeister Herbert Lichtinger (6.v.re.), Helga Ohneis und Ruth Metzger (7.u.8.v.re), Manfred Mletzko und  Eduard Neuberger (3.u.5.v.li.) sowie Horst-Falko Bilek (5.v.re.) und die eritreischen Flüchtlinge in Geiselhöring.

 

Irgendwo auf der Welt gibt's ein kleines bisschen Glück“

Wanderausstellung „Flucht, Vertreibung und Asyl 1945-2015“ macht Station in Geiselhöring

Die evangelische Kirchengemeinde Geiselhöring und der SPD Arbeitskreis Labertal luden am vergangenen Montag zur Ausstellungseröffnung in die Kreuzkirche in Geiselhöring ein. Die Vernissage mit anschließender Erzählrunde, bei der Zeitzeugen die Möglichkeit hatten, ihre ganz persönliche Geschichte zu erzählen, stand unter dem Motto „Irgendwo auf der Welt gibt's ein kleines bisschen Glück“. Angelehnt an den bekannten Titel der Comedian Harmonists wurde eine Brücke zur aktuellen Asylproblematik geschlagen. Inhalt der Ausstellung ist die Ankunft evangelischer Christen aus Schlesien in der Region Labertal 1945/46 und ist noch bis Sonntag, den 4. Oktober in der Kreuzkirche zu sehen.

Der Kirchenchor eröffnete die Veranstaltung mit dem bekannten schlesischen Kirchenlied „Schönster Herr Jesus“ und Pfarrer Ulrich Fritsch von der evangelischen Gemeinde Geiselhöring begrüßte neben Bürgermeister Herbert Lichtinger auch Manfred Mletzko als Vertreter der schlesischen Landsmannschaft im Landkreis sowie Eduard Neuberger als Vertreter der Landsmannschaft der Russlanddeutschen. "Die Ausstellung spricht für sich. Und das Schicksal von damals wiederholt sich heute wieder mit den Asylanten, die täglich zu uns kommen. Deshalb zeigen zwei Ausstellungstafeln das Schicksal von Flüchtlingen aus Eritrea auf, die in Geiselhöring Unterkunft fanden", leitete Fritsch ein. Er ging auf die Problematik der Vertriebenen des zweiten Weltkriegs ein und erläuterte den Inhalt der Ausstellung. Am Beispiel der Zuwanderung evangelischer Christen ins Münsterland und deren Erfahrungen und Erlebnisse, die die Ausstellung darstellt, schlug Ulrich Fritsch den Bogen zur Ankunft der Evangelischen im Labertal. "Ich hoffe, dass die Ausstellung zum Segen wird, uns die Schicksale unserer Vorfahren aufzeigt und uns sensibilisiert für die Asylpolitik heute", schloss Pfarrer Fritsch.

Evangelische Gemeinde wuchs sprunghaft auf rund 2000 Mitglieder an

"Die Geschichte der evangelischen Christen in unserer Region ist in ganz besonderer Weise auch mit dem Schicksal vieler Heimatvertriebenen verbunden, die nach Kriegsende bei uns eine neue Heimat gefunden haben", so Pfarrer Ulrich Fritsch, den es besonders freute, dass eine Ausstellungstafel sich mit der Geschichte der evangelischen Gemeinde Geiselhöring befasst und hier wiederum den Bau der Kreuzkirche aufgreift. „Ein lebensgefährlicher wochenlanger Fußmarsch mitten im kalten Winter lag hinter ihnen, als die von Haus und Hof Vertriebenen aus Schlesien, Schlottau, Martinwaldau, Bunzlau, aus Ostpreußen und dem Sudetenland im Labertal landeten“, erzählte Ulrich Fritsch. Sie waren von den Strapazen gezeichnet, als sie mit ein paar Habseligkeiten wie Bettler vor den Häusern wohlhabender Bauern, von örtlichen Behörden eingewiesen und nicht gerade begeistert aufgenommen wurden.

Die Gemeinde  war riesengroß und weit verstreut. Mit dem Fahrrad fuhr der Pfarrer in die zum Teil 20 km entfernten Randgemeinden hinaus, hielt drei bis vier Gottesdienste pro Sonntag und viele Evangelische nutzten dankbar die Gelegenheit, endlich wieder eine Kirche als geistliche Zuflucht zu haben und den vertrauten Ablauf im wohltuenden schlesischen Dialekt feiern zu dürfen. 1946 gab es die erste Konfirmation und der Kirchenchor gründete sich. Er sangen zu allen Kirchenfesten, aber auch bei Trauungen und Beerdigungen. Viel zum raschen Eingewöhnen halfen die von zu Hause schon bekannten Lieder und Teile der Schlesischen Liturgie. Aber es gab noch kein Pfarramt und noch keine eigene Kirche, diese wurde erst 1958/59 gebaut und eingeweiht.

Bürgermeister Herbert Lichtinger dankte der evangelischen Kirchengemeinde und dem SPD-Arbeitskreis Labertal für ihr Engagement, die Wanderausstellung nach Geiselhöring zu holen. Es sei wichtig, die Geschichte aufzuarbeiten und die Geschehnisse bei der Jugend wach und lebendig zu halten. Es freut ihn deshalb besonders, dass auch Ludwig Passreiter als Vertreter der Grund- und Mittelschule sich über die Ausstellung informierte und den Besuch einiger Klassen ankündigte.

Die Geschichte wiederholt sich

Rainer Pasta, Sprecher des AK Labertal, erklärte in seinen Ausführungen, dass jeder, der dem Thema unvoreingenommen entgegentrete, schnell erkenne, dass die Flüchtlinge damals wie heute nicht immer willkommen waren. „Die Niederbayern haben die Willkommenskultur nicht erfunden“, so Pasta. Die Dokumentation sei eine gute Gelegenheit, die geschichtliche Vergangenheit und die aktuellen Probleme kennen zu lernen. „Als wir die Ausstellung im Frühjahr planten, konnte keiner wissen, dass wir ein so aktuelles und hochpolitisches Thema aufgreifen würden“, so Pasta, der weiter Ausführte: „Eigentlich müsste das Thema auch schon die Machtergreifung der Nazis und die frühen 1930er Jahre einbeziehen, denn bereits zu dieser Zeit setzte die erste Flüchtlingswelle ein – nicht nach Deutschland, sondern aus Deutschland hinaus. Juden, Kommunisten und Sozialdemokraten flohen vor den Nazis ins Ausland – und waren froh dort aufgenommen zu werden. Aus diesem Grund haben wir auch mit dem Motto der Ausstellung den Bezug zu den Comedian Harmonists gewählt“. Sie waren ein international bekanntes Berliner Volksensemble der Jahre 1927 bis 1935. Da jedoch drei der sechs Mitglieder Juden bzw. ‚Nichtarier’ waren, folgte Auftrittsverbot und das Sextett löste sich auf und die drei flohen ins Ausland.

Pasta berichtete anschließend von einem Termin mit Regierungspräsident Heinz Grunwald, bei dem die Herausforderungen und Chancen der Zuwanderung thematisiert wurden. In seinen sehr sachlichen und informativen Ausführungen machte der Regierungspräsident die Ursache der derzeitigen Probleme deutlich: Von Anfang Januar bis Mitte September sind bereits 496 000 Asylbewerber nach Deutschland gekommen, davon 150 000 nach Bayern. Täglich passierten Tausende die Grenze, und ein Ende sei nicht abzusehen. Bezirksregierungen, Polizei, Sozialämter, Jugendhilfe, das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF), die betroffenen Landkreise und Grenzgemeinden - sie alle seien durch die Aufnahme und Registrierung überlastet. Der Glaube, das Dublin- III- Abkommen verhindere ein Überschwappen der Flüchtlingswelle aus Italien, Griechenland oder Ungarn zu uns, war blauäugig, so Pasta. Wie er erfahren habe, stockte der Bund weder das Personal des Bundesamts rechtzeitig und ausreichend auf, noch wurden neue Erstaufnahmeunterkünfte rechtzeitig fertig – noch heute sind von den sieben geplanten erst vier aufnahmefähig. „Wer 2014 bis zum Frühjahr 2015 noch mit dem Finger auf Italien und Griechenland zeigte, weil hier die Situation an der EU- Außengrenze aus dem Ruder lief, sieht sich heute an den bayerischen Grenzen mit den gleichen Problemen konfrontiert: Tausende wollen jeden Tag Zutritt – wer kann sie aufhalten“, zitierte Pasta den Regierungspräsidenten, der sich auch privat in der Flüchtlingshilfe engagierte. Die Unterbrechung der Zugverbindungen und die Grenzkontrollen hätten die Situation in Niederbayern eher unübersichtlicher gemacht - wusste man in den vergangenen Wochen zumindest wann, wo und wie viele Flüchtlinge ankommen, so seien wir heute einer herausfordernden Situation ausgesetzt , wenn Tausende zu Fuß irgendwo an der Grenze auftauchen und ungeordnet einwanderten.

Pasta verwies auf die Möglichkeiten der Integration und Qualifikation der Flüchtlinge, vor allem der vielen jungen ausbildungswilligen Menschen. Er zeigte auch auf, dass die Finanzierung der Hilfen für Flüchtlinge ein ungeahntes Investitionsprogramm bedeuten. Die Investitionen, die endlich in den sozialen Wohnungsbau und die Städtebauförderung fließen würden, aber auch die Versorgung der Asylbewerber mit Kleidung, Nahrung und allen Dingen des täglichen Lebens würden der Konjunktur gut tun, zeigte sich Pasta überzeugt. Auch viele Betriebe setzten vermehrt auf engagierte Flüchtlinge in ihren Reihen. Auch das sei ein Beispiel dafür, wie Flüchtlinge zum Wirtschaftsfaktor werden.

Flüchtlinge als Wirtschaftsfaktor und ein ungeahntes Investitionsprogramm

Schließlich berichtete Pasta am Beispiel des Landkreises  Dingolfing-Landau und setzte die latenten Ängste der Bevölkerung vor Überfremdung durch ein paar Zahlenvergleiche ins rechte Licht. Sind heute 825 Flüchtlinge im Landkreis Dingolfing (93.000 Einwohner) angesiedelt, und kämen in den nächsten Monaten noch zwei oder dreimal so viele hinzu, wäre die Gesamtzahl weit geringer als die im letzten Jahrzehnt aufgenommenen und integrierten Spätaussiedler aus Russland, Polen oder Rumänien. Der Landkreis Dingolfing wuchs durch diese Personengruppe um rund 13.000 Personen an. „Auch im Landkreis Straubing-Bogen seien derzeit nur rund 900 Asylbewerber angesiedelt – abgesehen von den horrenden Zahlen der Einreisenden, die aber weiter auf das Bundesgebiet verteilt würden, sind diese Zahlen alles andere als bedrohlich“, so Pasta.

„Schlüssel für eine gelungene Integration ist es, die Deutsche Sprache zu beherrschen!“

Anschließend berichtete Eduard Neuberger aus Straubing, Vertreter der Landsmannschaft der Deutschen aus Russland, über seine Erlebnisse und Erfahrungen im Zuzug und in der Integration seiner Volksgruppe. Nach der Öffnung des Eisernen Vorhangs kamen Hunderttausende aus der DDR, Polen, Siebenbürgen und Russland nach Bayern. Genau wie die zweite und dritte Generation der Flüchtlinge aus den Jahren 1945/46, seien auch sie längst heimisch geworden. „Heute suchen wieder Flüchtlinge und Vertriebene Schutz und Hilfe bei uns. Sie kommen aus weitentfernten Ländern, mit fremden Sitten und Gebräuchen. Aber es sind Menschen - und wir müssen ihnen Hilfe und Respekt entgegen bringen“, so Eduard Neuberger, der weiß wovon er spricht. Neuberger organisierte schnellstmöglich die Hilfen für seine Landsleute und ist heute auch für viele Neuankömmlinge ein gesuchter Ansprechpartner. Sein Rat und seine Forderung an die anwesenden Flüchtlinge: „Schlüssel für eine gelungene Integration ist es, die Deutsche Sprache zu beherrschen!“

„Ihr seid´s ja Leit grad so wie wir!“

Mit Manfred Mletzko als Vertreter des Kreisverbandes der Landsmannschaft der Schlesier und den Berichten von Ruth Metzger und Helga Ohneis wurden die Zuhörer in das Jahr 1945 entführt und alle lauschten gespannt den Erzählungen der Zeitzeugen. Ob nun mit dem letzten Zug oder mit dem Ochsenwagen über 6 Wochen quer durchs Land, alle drei Berichte offenbarten den tiefen Einschnitt, denn die Flucht aus Schlesien bei den betroffenen Menschen – sie waren damals noch Kinder - bis heute hinterlassen haben. Sie berichteten über ihre Ankunft in Straubing, Sallach und Geiselhöring und über die damaligen Wohn- und Arbeitsverhältnisse, die Sorge um den Vater, der im Krieg oder in Gefangenschaft war, aber auch über die Aufnahme durch die Bevölkerung, die bei allen dreien durchwegs positiv verlaufen war. Rut Metzger fasste alles in einem Satz zusammen: „Die letzten Tage des Krieges waren schwer. Nach Niederbayern kamen von überall Menschen her mit Bahn und Pferdewagen, mit nicht viel mehr als jeder konnte tragen. Leute, die man hier kaum kannte und die man Protestanten nannte. Erstaunt sagte eine Frau von hier: ‚Ihr seid´s ja Leit grad so wie wir!’ Da habe ich dann doch gedacht: Hat uns der liebe Gott vielleicht anders gemacht?“

 

 

Zeitzeugen berichten:(v.li.) Manfred Mletzko, Helga Ohneis und Ruth Metzger

 

 

Populistische Thesen sorgten für Widerspruch und absolutes Unverständnis

Horst-Falko Bilek, ausdrücklich nicht in seiner Funktion als Bezirksvorsitzender des Bundes der Vertrieben, lies es sich nicht nehmen, seine private Meinung kund zu tun. Für ihn verlief die Veranstaltung viel zu einseitig, was wohl daran liege, „dass man derzeit durch die Medien regelrecht weichgespült werde, wenn auf allen Sendern nur über die Willkommenskultur berichtet“ würde. Er äußerte seine Befürchtungen, dass mit den vielen Flüchtlingen auch islamistische Terroristen einreisen könnten. Er ging sogar soweit, anzudeuten, dass wir Einheimischen in naher Zukunft aufgrund der Islamisierung aus dem eigenen Lande vertrieben werden könnten. Dafür erntete er jedoch heftigen Widerspruch aus der Versammlung und absolutes Unverständnis vor allem bei den anwesenden eritreischen Flüchtlingen, die ausschließlich christlichen Glaubens sind und sich um eine gute Integration sehr bemühen.

 

  

Projekt 2016 - Schuld & Sühne?

„Historischen Themennachmittage" im Labertal

Die intensive Auseinandersetzung mit der Vergangenheit ist wichtig um die Gegenwart zu verstehen und der Zukunft zu vertrauen. Der AK Labertal will fundierte Geschichtsbewältigung unter sozialdemokratischen Gesichtspunkten anbieten Es gibt nichts zu glorifizieren, nichts zu beschönigen und schon gar nichts zu rechtfertigen. Wir wollen aber auch nicht anklagen und verurteilen - keiner von uns kann heute sagen, wie er sich selbst verhalten hätte, in einer anderen Zeit.

- Rückblick -
Der SPD-Arbeitskreis Labertal hat mit dem „Historischen Themennachmittag“ zur Schierlinger Muna am 24. Januar 2010 begonnen, sich mit den Ereignissen vor 65 Jahren genauer zu beschäftigen. Neben dem „Wunder von Schierling“ sollt der Blick auch auf die Todesmärsche durch das Labertal gelenkt werden.

Die Brüder Gandorfer beschäftigten den AK am historischen Datum 7. November 2010 in Pfaffenberg.

Im Spätherbst 2011 wurde mit "Die Engel von Laberweinting" erneut an das Thema "65 Jahre Kriegsende" angeknüpft. 62 tote Kinder in nur wenigen Monaten, so die Bilanz des Entbindungs- und Kinderheims für Fremdländische.

Der letzte „Historische Themennachmittag“„GELINZT - Euthanasie- Opfer aus dem Labertal“ fand am 4. März in Geiselhöring statt. Das Thema wurde mit einer Informationsfahrt am 14. April an den Gedenkort Hartheim bei Linz abgerundet.

Die Dokumentationen zu den Themennachmittagen (oder den Bonhoeffer-Wochen) sind unter www.agentur-labertal.de zu bestellen!

Projekt 2015 - Flucht, Vertreibung und Asyl

Flucht, Vertreibung und Asyl 1945 / 2015

Sonstiges

 

120 Jahre BayernSPD - Im Dienst von Freiheit und Demokratie Frauen sind in der rechtsextremen Szene keine Seltenheit mehr – sie sind die „nette“ Nachbarin oder betreiben Biolandbau und verkaufen „Deutschen Honig“ und unterwandern so die Gesellschaft mit neonazistischem Gedankengut. Die Ausstellung „Braune Schwestern“ aus Österreich war 2012 erstmals in Niederbayern zu sehen und beschäftigt sich mit der Symbolik, den Liedern und dem Gedankengut der rechtsextremen Frauenszene.