Oberpfälzer SPD-Bundestagsabgeordnete begründen ihre unterschiedliche Entscheidungshaltung
Berlin. Bei der heutigen Abstimmung über die Verlängerung des Bundeswehreinsatzes in Afghanistan haben die beiden Oberpfälzer SPD-Bundestagsabgeordneten unterschiedliche Entscheidungen getroffen. MdL Werner Schieder stimmte mit „Nein“ und begründete dies mit „fehlender Verbindlichkeit des Truppenabzugs der deutschen Streitkräfte noch in diesem Jahr“ und einem Mangel an „konzeptioneller Klarheit für unser künftiges Engagement in Afghanistan“.
MdL Marianne Schieder stimmte trotz belastender Begleitumstände mit „Ja“ um „den auch von der SPD initiierten Strategiewechsel eine Chance zu geben.“ Marianne Schieder erklärte aber auch, daß sie eine erneute Zustimmung zu einer weiteren Mandatsverlängerung an die Einhaltung der Abzugspläne ab Ende 2011 knüpfe.
Die Erklärungen der Abgeordneten im Wortlaut:
Erklärung von MdB Werner Schieder
Werner Schieder stimmt bei der Verlängerung des Bundeswehreinsatzes in Afghanistan mit „
Nein“
Zu der heutigen namentlichen Abstimmung im Deutschen Bundestag zum Antrag der Bundesregierung über die Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an dem ISAF-Einsatz in Afghanistan erklärt der Weidener SPD-Bundestagsabgeordnete Werner Schieder:
Bei der Abstimmung zum Antrag der Bundesregierung über die
Mandatsverlängerung des Bundeswehreinsatzes in Afghanistan habe ich entgegen der Empfehlung meiner Fraktion mit „
Nein“ gestimmt. Diese Entscheidung möchte ich begründen:
Die innerafghanischen Konflikte sind nicht militärisch zu lösen. Deshalb war es wichtig, dass die SPD seit 2009 einen Strategiewechsel für den Afghanistaneinsatz politisch durchsetzen konnte. Ich habe den Strategiewechsel – weg von militärischer Präsens und hin zu zivilen Maßnahmen wie Wiederaufbau der Infrastruktur, des Gesundheits- und Bildungssektors und die Ausbildung afghanischer Sicherheitskräfte einerseits und eine nachhaltige politische Konfliktlösung durch die Einbeziehung der Nachbarländer und innerafghanischer Gruppen in einen
regionalen Friedensdialog andererseits - in der Vergangenheit
unterstützt und tue dies auch heute noch.
Leider hat sich die Bundesregierung insbesondere mit ihren
Bundesministern Westerwelle und zu Guttenberg als unfähig erwiesen, diesen Strategiewechsel ernsthaft zu verfolgen. Damit hat sie ihre Chance für meine erneute Zustimmung schon aufs Spiel gesetzt. Noch schwerer wiegt, dass es dem Antrag in jeder Hinsicht an Verbindlichkeit bezüglich des Truppenabzugs der deutschen Streitkräfte noch in diesem Jahr, aber auch an konzeptioneller Klarheit für unser künftiges Engagement in Afghanistan mangelt. Der Bitte der Bundesregierung um erneute Mandatsverlängerung kann ich daher nicht nachkommen.
Persönliche Erklärung von MdB Marianne Schieder zu ihrer Zustimmung für das neue Afghanistan-Mandat
Zur Abstimmung über den Antrag der Bundesregierung „Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an dem Einsatz der Internationalen Sicherheitsunterstützungstruppe in Afghanistan (International Security Assistance Force, ISAF) unter Führung der NATO" erklärt die SPD-Bundestagsabgeordnete Marianne Schieder:
Nach einem gründlichen und sehr verantwortungsbewussten Diskussionsprozess hat die SPD im Hinblick auf den Afghanistan-Einsatz einen Strategiewechsel gefordert, dessen wesentliche Elemente Teil des Mandatsbeschlusses des Deutschen Bundestages vom 26. Februar 2010 wurden.
Kernforderungen der SPD waren
- die Mittel für den zivilen Aufbau zu verdoppeln und die wirtschaftliche Entwicklung Afghanistans voranzutreiben
- mehr Nachdruck auf eine gute Regierungsführung und den weiteren Aufbau staatlicher Strukturen zu legen
- die Ausbildung der afghanischen Armee und Polizei deutlich zu verstärken
- eine unabhängige Evaluierung des Afghanistan-Einsatzes anhand von messbaren und qualitativen Fortschrittskriterien einzufordern
- den Prozess der innerafghanischen Versöhnung zu unterstützen und voranzutreiben
- die afghanischen Anrainerstaaten wie Pakistan, Iran, die zentralasiatischen Nachbarn, aber auch China und die Türkei stärker in eine politische Lösung der afghanischen Konflikte einzubinden
- der schrittweise Abzug des deutschen ISAF-Kontingents, beginnend 2011 und eine Beendigung des militärischen Engagements zwischen 2013 und 2015. Parallel dazu eine schrittweise Übergabe der Sicherheitsverantwortung an die afghanischen Streitkräfte.
Vor dem Hintergrund der vorgenannten Forderungen ist festzustellen, dass im Jahr 2010 nahezu eine Verdopplung der deutschen Mittel für den zivilen Aufbau Afghanistans auf 430 Millionen Euro stattgefunden hat. Es sind auch erhebliche quantitative Fortschritte bei der Ausbildung von afghanischen Soldaten und Polizisten erfolgt. Allerdings entspricht die Qualität der Ausbildung durch kurze, nur wenige Wochen dauernde Ausbildungskurse mit einem hohen Anteil von Analphabeten nicht immer den Erfordernissen.
Durch die Berufung des 70-köpfigen „Hohen Friedensrates“ unter Vorsitz des früheren Staatspräsidenten Burhanuddin Rabbani durch Präsident Hamid Karzai und die Bildung eines Reintegrationsfonds in den bisher etwa 160 Millionen US-Dollar eingezahlt wurden (darunter ein deutscher Anteil von 50 Millionen Euro über fünf Jahre) sind erste Schritte im Hinblick auf einen innerafghanischen Versöhnungsprozess unternommen worden. Ob dieser Prozess zu den gewünschten Erfolgen führt, ist gegenwärtig noch nicht abschließend zu beurteilen.
Kaum Fortschritte sind allerdings im Bereich guter Regierungsführung festzustellen. So sind weder nennenswerte Fortschritte im Einsatz gegen Korruption und den Drogenanbau, noch beim Aufbau der Rechtsstaatlichkeit und flächendeckend tragfähiger Verwaltungsstrukturen zu verzeichnen. Auch ist die Einbeziehung der afghanischen Nachbarländer in einen notwendigen Friedensprozess nicht gelungen, bzw. sind bislang keine nachhaltigen Initiativen der Bundesregierung feststellbar, diesen Prozess zu befördern. Ich erwarte hier ein stärkeres Engagement der Bundesregierung.
Ich bin nach wie vor der Auffassung, dass nur eine unabhängige wissenschaftliche Evaluation des Afghanistaneinsatzes die erforderliche Wirkungsanalyse des Anfang 2010 eingeleiteten Strategiewechsels vornehmen kann und bedauern, dass die Koalitionsfraktionen im vergangenen Jahr einen gemeinsamen Antrag von SPD und Bündnis90/Die Grünen (Drs 17/1964) dazu abgelehnt haben.
Der von der Bundesregierung im Dezember 2010 vorgelegte Fortschrittsbericht Afghanistan beleuchtet neben einigen Erfolgen zwar auch Fehlentwicklungen in Afghanistan, leistet aber keine qualitative Analyse der vor einem Jahr eingeleiteten Maßnahmen.
Die Staats- und Regierungschefs der NATO-Staaten haben bei ihrem Gipfeltreffen in Lissabon am 19. und 20. November eine schrittweise Übergabe der Sicherheitsverantwortung an die afghanischen Behörden bis zum Jahr 2014 beschlossen. Mit diesem Prozess soll bereits in den kommenden Wochen und Monaten begonnen werden.
Vor diesem Hintergrund ist es aus meiner Sicht geradezu folgerichtig, auch im Laufe dieses Jahres bereits mit dem Rückzug der Bundeswehr zu beginnen. Eine Übergabe der Sicherheitsverantwortung ohne einen Teilrückzug der internationalen Kräfte wäre ein Etikettenschwindel. Ein Verschieben des Abzugsbeginns würde auch den notwendigen Druck auf die afghanische Regierung lockern, schrittweise die Sicherheitsverantwortung in Afghanistan zu übernehmen und damit einen verantwortungsbewussten Abzug insgesamt in Frage stellen.
Die USA werden nach allen vorliegenden Informationen bereits im Juli mit dem Rückzug ihres im vergangenen Jahr vorgenommen Aufwuchses in Höhe von 30.000 Soldaten beginnen. Dieser Prozess wird sich über mehrere Monate hinziehen.
Insofern ist die von der SPD erhobene Forderung, den Beginn des Rückzugs der Bundeswehr im Jahr 2011 im vorliegenden Mandat schriftlich zu fixieren, nur folgerichtig gewesen. Die Bundesregierung ist dieser Forderung nachgekommen, wenn auch nur konditioniert. Noch weniger Verständnis als für die vorgenommene Konditionierung habe ich für Aussagen einzelner Mitglieder der Bundesregierung, namentlich des Bundesverteidigungsministers, der öffentlich den Eindruck erweckt hat, ihm sei die Festlegung auf eine Jahreszahl in Bezug auf einen Rückzugsbeginn gleichgültig. Daraus spricht meines Erachtens eine Missachtung des Parlaments, und ich hätte an dieser Stelle eine angemessene Klarstellung durch die Bundeskanzlerin erwartet.
Trotz dieser Begleitumstände stimme ich dem vorliegenden Mandat zu, um den auch von der SPD initiierten Strategiewechsel eine Chance zu geben. Ich erkläre aber schon jetzt, dass ich eine erneute Zustimmung zu einer weiteren Mandatsverlängerung, die voraussichtlich im kommenden Jahr dem Bundestag zur Abstimmung vorgelegt wird, an die Einhaltung der Zusage der Bundesregierung knüpfe „im Zuge der Übergabe der Sicherheitsverantwortung die Präsenz der Bundeswehr ab Ende 2011(zu) reduzieren… und dabei jeden sicherheitspolitisch vertretbaren Spielraum für eine frühestmögliche Reduzierung (zu) nutzen …“ (Antrag der Bundesregierung (Drs 17/4402).