Der Himmel über Abensberg ist grau und mit Wolken verhangen, es nieselt. Doch auf dem Gillamoos herrscht alles andere als Totensonntagsstimmung. Unablässig strömen die Menschen aufs Festgelände an der Münchener Straße. Tausende kommen. Rentner, junge Leute und Familien sind darunter. Viele tragen Tracht. Die Bierzelte füllen sich. Ab zehn Uhr folgt das, warum an diesem Tag Dutzende Journalisten, auch die Redakteure der großen Fernsehsender, und viele Polizisten in der Stadt sind – der politische Gillamoos.
Es sind noch sechs Wochen bis zur Landtagswahl in Bayern und allmählich verschärft sich der Ton. Auf dem Gillamoos-Jahrmarkt läutete Andrea Nahles und SPD-Spitzenkandidatin Natascha Kohnen die heiße Wahlkampfphase ein. Auch dieses Jahr durften die Zuhörer beim politischen Frühschoppen mit deftigen Sprüchen und scharfen Attacken rechnen. In diesem Jahr standen die traditionellen Bierzeltreden ganz im Zeichen der bayerischen Landtagswahl am 14. Oktober.
Nach der Begrüßung durch UB-Vorsitzenden Thomas Schugg sprach die Bundestagsabgeordnete und Niederbayernvorsitzende Rita Hagl-Kehl ein Grußwort und stimmte das proppenvolle Zelt auf die folgenden Rednerinnen ein.
Jeder der sie kennt, weiß, dass Andre Nahles eine geborene Bierzeltrednerin ist, und sie hat die Erwartungen voll erfüllt – die Parteichefin rockte das Zelt von Anfang an und bekam dafür viel Applaus.
Gleich zu beginn ihrer Rede griff Andrea Nahles die Vorkommnisse in Chemnitz auf und bezog deutlich Position: „Die Ausschreitungen, die wir in Chemnitz gesehen haben, haben nichts mit Wut und Sorge zu tun. Das war kein spontaner Ausbruch. Rechte und Rassisten benutzen ein Verbrechen als Vorwand, um unschuldige Menschen zu bedrohen und durch die Straßen zu hetzen! In Deutschland gilt Recht und Ordnung.“
Nahles rief zum Widerstand gegen die rechtsextremen Kräfte in Chemnitz auf. "Wir lassen uns vom rechten Mob nicht unsere Straßen beherrschen", sagte die SPD-Vorsitzende. Diesen Menschen dürfe nicht die Demokratie überlassen werden“.
Spätestens seit Chemnitz befinden wir uns in einer neuen Situation. Die AfD habe ihre bürgerliche Maske endgültig fallengelassen. „Wer Augen im Kopf hat, der sieht: Die AfD ist inzwischen eine Vorfeldorganisation von Rassisten und Faschisten. Diese Partei ist weder bürgerlich noch patriotisch. Sie ist eine Partei, die vom Verfassungsschutz beobachtet werden muss“, so Nahles, die dafür lauten Zuspruch bekam.
SPD-Chefin Andrea Nahles hat Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) in der Debatte um die rechtsextremen Übergriffe in Chemnitz in Schutz genommen. Die Wurzeln dieser Ausschreitungen seien Nationalismus und Rassismus, aber nicht die Politik Merkels, sagte Nahles beim Gillamoos zu entsprechenden Vorwürfen des stellvertretenden FDP-Chefs Wolfgang Kubicki.
Noch deutlicher ging Nahles mit der CSU ins Gericht: „Die CSU hat Sprache und Positionen der Rechten übernommen. Denn was wie eine Ente quakt, wie eine Ente watschelt, und wie eine Ente aussieht, das ist meistens auch eine Ente!
Andrea Nahles warf CSU-Ministerpräsident Söder eine unklare Haltung gegenüber der AfD vor. „Schließen Sie endlich eine Koalition mit der AfD aus“, forderte sie ihn im Nachbarzelt auf. Die CSU müsse klar Stellung beziehen für den Fall, dass sie nach der Landtagswahl einen Koalitionspartner braucht. „Legen Sie die Karten auf den Tisch!“, so Nahles. Die AfD sei weder bürgerlich noch patriotisch. „Das ist eine Partei, die vom Verfassungsschutz beobachtet werden muss.“
„Ihr könnt euch vorstellen, dass mir fast die Kaffee-Tasse aus der Hand gefallen ist, als ich folgendes Statement von Markus Söder las: ‚Ich möchte keine Berliner Verhältnisse im Freistaat Bayern‘, meint er. Ich glaub es hackt. Lieber Herr Söder, das Problem sind nicht Berliner Verhältnisse in Bayern. Das Problem sind CSU-Verhältnisse in Berlin! Das ist das Problem!“ Auch hierfür bekam Nahles viel Applaus.
Neben dem zunehmenden Rassismus sind natürlich die sozialen Themen gefragt gewesen. Rente und Bodenspekulation waren die Kernthemen. Nahles stellte klar, dass die SPD für soziale Gerechtigkeit steht. „Wir wollen, dass die gesetzliche Rente sicher ist“, lautet eine ihrer Kernbotschaften und darum sei auch die Sicherungsgarantie für die gesetzliche Rente wichtig, betont sie.
Andrea Nahles zu den Bodenpreisen: „Seit den Sechzigerjahren sind die Bodenpreise um 1800 Prozent gestiegen. Und wer mit Bauland spekuliert, wer Brachen einfach liegen lässt, verdient sich eine goldene Nase. Das geht nicht, das ist Markt- und Politikversagen erster Güte. Und die Verantwortung dafür hat die CSU. Deswegen fordern wir: Wer nicht baut, wird zur Kasse gebeten. Und zwar nicht zu knapp.“
Andrea Nahles‘ Schlussappell:
„Am 14. Oktober wird im Freistaat gewählt. Und die SPD ist hier im Land die beste Alternative zum rechts-nationalen Kurs der Söder-Landesregierung. Bayern verdient Besseres, als pausenloses CSU-Theater. Die brauchen einfach mal eine Pause zum Nachdenken, die sollten wir ihnen auch schenken. (…) Wenn ihr am 14. Oktober in der Wahlkabine steht, dann denkt doch einfach an diesen schönen Reim: Willst du Markus Söder quälen, musst du ‘Tascha Kohnen wählen! - Herzlichen Dank!“
Die SPD-Parteichefin wurde mit langanhaltendem, stehendem Applaus gefeiert und verabschiedet. Das Zelt war in Aufruhr, die Menschen diskutierten das Gehörte...
Die bayerische Landeschefin und Spitzenkandidatin Natascha Kohnen hatte es nach dieser fulminanten Rede nicht leicht, die Besucher zu erreichen. Hilfreich wäre es gewesen, wenn sie vom Generalsekretär Uli Grötsch angekündigt und vorgestellt geworden wäre, aber dieser erkannte das Problem nicht.
Natascha Kohnen, die Spitzenkandidatin der BayernSPD gab sich kämpferisch
So dauerte es einige Minuten, bis sich Kohnen Gehör verschaffen konnte und zu den Zuhörern durchdrang. Betont kämpferisch gab sich Kohnen und auch sie kommentierte die Vorgänge in Chemnitz gleich zu Beginn. „Es gab Stunden in der letzten Woche, da wurde unsere demokratische Ordnung außer Kraft gesetzt. Diese Bilder machen mir Angst, aber diese Bilder treiben mich auch an. Wir als SPD stellen uns gegen Hass und Gewalt. Wir müssen und werden aufstehen. Wir werden es nicht zulassen, dass in Deutschland ein rechter Mob die Herrschaft an sich reißt.“
Für Natascha Kohnen, die mit ihrem ruhigen und betont sachlichen Politikstil den krassen Gegensatz zu den Dampfplaudereien der CSU setzen will, ist der innere Zusammenhalt der Gesellschaft der richtige Lösungsansatz: „Wenn wir hier Bayern genau hinschauen, dann sehen wir: Auch hier bei uns wird der Ton rauer. Schaffen wir in Bayern mehr Zusammenhalt oder lassen wir es zu, dass Menschen gegeneinander ausgespielt werden? Für uns Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten ist klar: Wir kämpfen für den Zusammenhalt der Gesellschaft. Darum geht es in dieser Landtagswahl.“
Wie aktuell diese Forderung ist, zeigen die heuchlerischen Vorwürfe der CSU, die SPD würde das Familiengeld den armen Familien nicht gönnen. Natascha Kohnen hat Ministerpräsident Söder für dessen Vorgehen beim Familiengeld scharf angegriffen. Söder habe im April ein Familiengeld versprochen - wohlwissend, dass dieses auf Hartz IV angerechnet werden muss. „Söder wusste das! Und was macht der Ministerpräsident Schamloses? Er treibt sein Familiengeld voran.“ Nun bekämen Hartz-IV-Empfänger ein Familiengeld, das sie kurz vor Weihnachten wieder zurückzahlen müssten. Das sei Söder jedoch egal vor der Wahl, sagte Kohnen. „Das ist unanständig.“ Hierfür bekam Kohnen viel Applaus.
Ebenso unanständig sei die Haltung der CSU zur Wohnungspolitik. „Es ist das alltägliche Leben, das die Politik bestimmen muss. Die Frage nach bezahlbarem Wohnraum ist die soziale Frage der nächsten Jahre und Jahrzehnte. Ich werde so lange für bezahlbaren Wohnraum kämpfen, bis keine Rentnerin mehr Angst haben muss, ihr Dach über dem Kopf zu verlieren, weil sie in ihrer Wohnung von Luxussanierung betroffen ist. Wir werden solange kämpfen, bis Artikel 106 der Bayerischen Verfassung erfüllt ist. Und der lautet wortwörtlich: ‚Jeder Bewohner Bayerns hat Anspruch auf eine angemessene Wohnung.‘ Solange werden wir kämpfen.“ Das Zelt quittierte dieses Versprechen mit lauter Zustimmung.
Ein wichtiges Thema Kohnen´s war Europa: „Mit der Sozialdemokratie wird es nur ein geeintes und offenes Europa geben. Der Ministerpräsident setzt dagegen unsere Arbeitsplätze aufs Spiel, wenn er das Ende Europas erklärt.“
Natascha Kohnen kam immer mehr in Fahrt: „Wenn der Ministerpräsident sagt, Oberbayern sei das Herzstück Bayerns, dann zeigt das: dieser Mann hat Bayern nicht verstanden. Auch Niederbayern ist das Herz des Freistaats. Und was sagt der Ministerpräsident eigentlich den Franken? Spricht er da auch vom Herzstück? Ich verlange von einem Ministerpräsidenten Ehrlichkeit statt leerer Wahlkampfversprechen.“ Auch hierfür bekam Kohnen viel Applaus.
Die Lösung der Zuwanderungsprobleme und der Arbeitskräftemangel standen anschließend zur Debatte: „Wir brauchen dieses Einwanderungsgesetz. Bei Herrn Söder im Zelt nebenan geht es immer nur um: Grenzen zu und Schotten dicht. Liebe Andrea, nicht mit uns Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten. Und dazu brauchen wir den Spurwechsel im Einwanderungsgesetz. Darum liebe Andrea wünsche ich mir: Setzt es durch, dass der Bäcker seinen Auszubildenden behalten kann, damit er nicht plötzlich aus der Backstube abgeschoben wird.“ Menschen, die hier arbeiten, von der Werkbank und aus dem Altenheim abzuschieben, sei unanständig. Und das sei dumm. Denn unser Wohlstand hänge von diesen Menschen ab. Bayern brauche Zuwanderung, so Kohnen weiter.
Natascha Kohnens Schlussappell:
„Wir brauchen einen neuen politischen Stil in Bayern. Wir brauchen Zusammenhalt statt Spaltung in diesem Land. Chemnitz muss uns eine Warnung an uns sein: Bayern und Deutschland muss ein Stabilitätsanker in Europa sein. Dafür steht die SPD. Wer das Kreuz bei der SPD macht, der bekommt mehr bezahlbaren Wohnraum, der bekommt mehr Unterstützung für Familien und mehr Anstand und Zusammenhalt in der Politik.“
Mit etwas Anlaufschwierigkeiten nach der starken Rede von Andrea Nahles gelang es Natascha Kohnen doch das Jungbräuzelt zu fesseln und die Positionen der BayernSPD für die kommende Landtagswahl darzustellen. Auch sie erhielt dafür langanhaltendem, stehendem Applaus.
Abschließend verabschiedete sich die Abgeordnete Johanna Werner-Muggendorfer von ihren Anhängern, sie wird bei der anstehenden Landtagswahl nicht mehr antreten.
Der Blick auf die politischen Mitbewerber:
Für die CSU trat Ministerpräsident Markus Söder ans Rednerpult im Hofbräuzelt. Söder hat, wie erwartet, die versammelte politische Konkurrenz mit Kritik und Spott überzogen. Über die SPD wolle er eigentlich gar nichts sagen: „Bedrohte Arten werden von der Bejagung verschont, bis sie sich wieder erholt haben.“ Die Opposition nannte er „destruktiv oder anbiedernd“. „Das einzige, was die wollen, sind Dienstwägen und Ministerämter“, sagte er unter anderem mit Blick auf die Freien Wähler. Die Grünen stünden für Bevormundung, Fahrverbote, unbegrenzte Zuwanderung, unbegrenzte Steuern - beim Thema Zuwanderung seien sie „ein einziger historischer Witz“. Über die FDP sagte Söder: „Wer sich in Berlin nicht traut, kann sich nicht in Bayern an den gedeckten Tisch setzen wollen - das geht nicht.“ Die Koalition mit der AfD schloss er aber wieder nicht aus.
Die Grünen hatten im Gillamoos-Weinzelt neben ihrem Spitzenkandidaten-Duo Katharina Schulze und Ludwig Hartmann den Ex-Bundesvorsitzenden Cem Özdemir zu Gast, bei den Freien Wählern war wieder Parteichef Hubert Aiwanger Hauptredner im Weißbierstadl.
Die Chance zum verbalen Rundumschlag nutzen auch FDP, AfD, Bayernpartei und die ÖDP.